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Junge Geflüchtete haben Rechte!

Mittwoch, 11. April 2018

Junge Geflüchtete haben Rechte!

Im Februar 2018 hat der JMB Berlin die Position „Junge Geflüchtete haben Rechte!“ beschlossen.

Geflüchtete Kinder und Jugendliche sind in erster Linie Kinder und Jugendliche. Kinder haben ein Recht auf Spiel, Erholung, Freizeit, auf Bildung und Ausbildung. Sie haben ein Recht auf Schutz vor Gewalt und das Recht auf Gesundheit. Kinder haben das Recht auf besonderen Schutz im Krieg und auf der Flucht. Und sie haben das Recht auf Geborgenheit, Familie, elterliche Fürsorge und ein sicheres Zuhause. Diese Rechte sind neben weiteren in der UN-Kinderrechtskonvention verankert.


Doch auch wenn die UN-Kinderrechtskonvention für alle Kinder gilt: Die Umsetzung dieser Rechte ist für junge Geflüchtete nicht selbstverständlich.


Wir, die Mitgliedsverbände des Jugendmigrationsbeirats Berlin, fordern, dass Kinder und Jugendliche unter allen Umständen und in jeder sie betreffenden Angelegenheit auch als Kinder und Jugendliche wahrgenommen werden. Die Beachtung der Kinderrechte sowie des SGB VIII muss daher grundsätzlich vor allen anderen Dingen Vorrang haben.

 


Schutz von Kindern und Jugendlichen, Ermöglichung von Familienzusammenführung


Kinder und Jugendliche sind eine besonders schutzbedürftige Gruppe. Alle sie betreffenden Maßnahmen müssen im Bewusstsein darüber gestaltet werden. Das gilt dementsprechend auch für ihre Familien.


Wir fordern die Schließung von Gemeinschaftsunterkünften und die dezentrale Unterbringung von schutzsuchenden Menschen. Insbesondere für Kinder und Jugendliche, aber auch für weitere besonders schutzbedürftige Gruppen und ihre Angehörigen, stellt eine Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften eine besonders belastende Situation dar, die weitreichenden Einfluss auf psychische wie physische Gesundheit hat und zudem Bildungs- und Teilhabemöglichkeiten vehement einschränkt.


Solange Unterkünfte bestehen, muss die Gewährleistung kindgerechter Unterbringungsmöglichkeiten selbstverständlich und verpflichtend sein. Das heißt, dass Kindern und Jugendlichen Ruhe, Rückzugs- und Erholungsmöglichkeiten, Schutzräume und Räume für Freizeit und Spiel zur Verfügung stehen müssen.


Der Familiennachzug muss zwingend ermöglicht werden, Verfahren vereinfacht und beschleunigt werden, so dass Kinder und Jugendliche schnellstmöglich in der Obhut ihrer (beiden) Eltern aufwachsen können. Belastende Trennungssituationen dürfen nicht weiterhin aufrechterhalten bleiben. Kinder und Jugendliche haben ein explizites Recht auf ein Aufwachsen in der Familie. Auch die Zusammenführung mit den Geschwistern muss daher gewährleistet werden. Diese Forderung schließt auch die Zusammenführung von Familienmitgliedern, die sich bereits in Deutschland mit ein.

 


„Sichere Herkunftsstaaten“ und „Obergrenzen“


Die Einführung einer sogenannten Obergrenze ist vollkommen indiskutabel. Es ist nichts anderes als unsolidarisch und unmenschlich, Menschen, die alles zurücklassen, um Schutz in Deutschland zu suchen, abzuweisen.


Das Konzept der „sicheren Herkunftsstaaten“ lehnen wir ab: Von der Herkunft eines Menschen auf dessen Verfolgung oder Nicht-Verfolgung zu schließen, ist nicht haltbar. Das Konzept kann zudem mit erheblichen Einschränkungen verbunden sein: Unter bestimmten Bedingungen ist es für Personen, die aus einem sogenannten „sicheren“ Herkunftsland nach Deutschland gekommen sind, verboten, eine Erwerbstätigkeit und somit auch eine betriebliche Ausbildung aufzunehmen. Grundsätzlich muss gewährleistet sein, dass – solange an dem Konzept der „sicheren Herkunftsstaaten“ festgehalten wird – damit kein Pauschalurteil einhergeht, sondern die Entscheidung über einen Asylantrag nach einem fairen Individualverfahren getroffen wird.

 


Bildung und Ausbildung


Unabhängig davon, wie lange sich jemand in unserer Gesellschaft bereits aufhält oder sich voraussichtlich aufhalten wird, sollte jede_r die Möglichkeit haben, ihren_seinen aktuellen Lebensabschnitt sinnvoll nutzen zu können. Vor allem für Kinder und Jugendliche bestimmt Bildung über ihre Zukunft. Bildung ist ein Grundrecht, das allen Menschen zusteht – unabhängig ihrer gesellschaftlichen Position und/oder ihres Aufenthaltsstatus.


Jungen Geflüchteten muss daher ein sofortiger Zugang zu Bildung und Ausbildung ermöglicht werden. Insbesondere beim Eintritt ins Schulsystem ist der individuelle Wissensstand der jungen Menschen zwingend zu berücksichtigen. Darüber hinaus lehnen wir eine Trennung der Schüler_innen vom regulären Schulbetrieb in den sogenannten „Willkommensklassen“ ab und fordern einen sofortigen Zugang in die Regelklassen. Allen Schüler_innen muss Zugang zu einer ergänzenden und begleitenden Sprachförderung zur Verfügung stehen.


Ob junge Menschen, die nicht mehr schulpflichtig sind, weiterhin eine Schule besuchen und einen Schulabschluss erwerben können, ist in den Bundesländern unterschiedlich geregelt. Dementsprechend entscheidet die lokale Verteilung der jungen Menschen über ihre Möglichkeiten. Wir fordern, dass in allen Ländern junge Menschen auch dann einen Zugang zu Bildung und Ausbildung erhalten können, wenn sie nicht mehr schulpflichtig sind.

 


Transparenz, Information und Zugang zu Regelsystemen


Geflüchteten müssen Möglichkeiten bedarfsorientierter Unterstützung zur Verfügung stehen und vor allem bekannt sein. Geflüchtete müssen in Kenntnis über ihre Rechte und Ansprüche gesetzt werden. Dazu gehört es auch, unabhängige Beschwerdestellen einzurichten, in denen Geflüchtete Fälle von Diskriminierungen melden können. Zudem muss der Einsatz von Sprachmittler_innen erhöht werden.


Immer wieder ist zu beobachten, dass Regeldienste nur unzureichend vernetzt sind und Akteur_innen nicht immer voneinander bzw. ihren Angeboten wissen. Ein regelmäßiger bezirklicher Austausch könnte hier helfen, unterstützende Strukturen zu entwickeln.


Jungen Geflüchteten müssen die Möglichkeiten, Angebote und Leistungen des deutschen Jugendhilfesystems bekannt sein. Entsprechende verständliche und transparente Informationen müssen den jungen Menschen zur Verfügung gestellt werden. Zum Beispiel muss frühzeitig bekannt sein, dass junge Geflüchtete bereits vor dem 18. Geburtstag eine Verlängerung der Hilfe beantragen müssen, um nicht mit Erreichen der Volljährigkeit sofort komplett aus dem Hilfesystem zu fallen. Die Fortsetzung einer Hilfe für junge Erwachsene kann entscheidend für die Entwicklung und für die Umsetzung von Zukunftsplänen sein.

 


Empowerment und Selbstorganisation


Das Empowerment Geflüchteter muss als eines der wesentlichen Ziele in Konzepten, Strukturen und Angeboten benannt sein. Geflüchteten muss ermöglicht werden, an Entscheidungsprozessen teilzuhaben. Es ist ein wichtiges Zeichen von Anerkennung und Wertschätzung, Menschen Zugänge zur gleichberechtigten Partizipation zu ermöglichen.


Selbstorganisationen müssen gefördert werden, um Geflüchtete darin zu unterstützen, ihre Perspektiven in Gesellschaft und Politik einzubringen. Zivilgesellschaftliche Akteur_innen, unter ihnen Verbände (so z.B. Migrant_innen(jugend)selbstorganisationen), Religionsgemeinschaften, Selbstorganisationen, Initiativen, etc., können für Geflüchtete eine besondere Ressource darstellen. Ihr Engagement ist weiterhin zu unterstützen und zu fördern.


Um junge Geflüchtete und ihre Selbstorganisation zu unterstützen, ist es notwendig, dass sich bestehende Strukturen – wie zum Beispiel Förderprogramme – öffnen. Ziel sollte es sein, dass Selbstorganisationen so schnell wie möglich einen Zugang in Strukturen finden können. Auch Initiativen, die keinen Vereinsstatus haben, sollen die Möglichkeit auf eine Förderung erhalten.

 


Klare Positionierung gegen rassistische Diskriminierung und rechte Gewalt


Die „Chronik flüchtlingsfeindlicher Vorfälle“ der Amadeu Antonio Stiftung und PRO ASYL dokumentiert für 2017 insgesamt 1715 Angriffe auf Schutzsuchende und deren Unterkünfte. Die Präsenz gewaltbereiter und menschenfeindlicher Stimmung in Deutschland nimmt weiter zu, die Befürchtung, Rechtspopulist_innen kann der Einzug in den Bundestag gelingen, ist Realität geworden.


Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, sind hier weiterhin Gefahren und Diskriminierungen permanent ausgesetzt.


Auch die Ergebnisse der Sondierungsgespräche zur Bildung einer Bundesregierung vom 12.01.2018 zu den Themenbereichen „Integration und Migration“ setzen vor allem Zeichen der Ablehnung und Abschottung. Sie verfolgen Ziele wie eine Obergrenze für die Aufnahme Schutzsuchender und die Aussetzung des Familiennachzugs und nehmen die Missachtung des Kindeswohls billigend in Kauf.


Wir fordern dazu auf, Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit als ein existierendes, tief in der Gesellschaft verankertes Problem wahrzunehmen, dem es entschieden entgegen zu treten gilt. Wir fordern eine klare Haltung von Politik und Verwaltung, sich gegen menschenfeindliche Diskurse zu positionieren, die Zivilgesellschaft in ihrem Engagement gegen Rechts zu stärken und zu stützen, und für ein gesellschaftliches Klima von Toleranz, Solidarität und Demokratie einzustehen.
 


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